Maximierung des „Brand Value“ in M&A-Transaktionen
11.07.2018
DMFIN Artikel M&A Review 8 2018

M&A Review 7-8/2018, 29. Jahrgang S. 242- S. 248

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Maximierung des „Brand Value“ in M&A-Transaktionen: Wie kann man Wertsteigerungspotenziale von Marken bei Unternehmenstransaktionen identifizieren und beim Unternehmensverkauf realisieren?

Ein Artikel von Martina Cleven, MC Marketing Consulting, Hamburg
und Dr. Patrick Schmidl, Deutsche Mittelstandsfinanz GmbH, Frankfurt

Executive Summary

Marken werden im Zuge von M&A-Transaktionen häufig nicht ausreichend bewertet. Dies gilt insbesondere für Marken, die bisher nicht optimal unterstützt und ausgebaut wurden. Klassische Bewertungsmethoden sind entweder zu vergangenheitsorientiert (insbesondere Multiples) oder leiden unter einer unzureichenden Datenbasis (DCF-Methode).

Die Instrumentarien Markenpositionierung und Markenpotenzialanalyse können mit vertretbarem Aufwand die vorhandene Bewertungslücke schließen und so zur Erhöhung der Transaktionssicherheit führen. Hierbei ist eine Kombination von Expertenwissen aus den Bereichen Markenstrategie und M&A-Beratung gefragt, um zusätzliche potenzielle Ergebnisbeiträge auch jenseits des aktuellen Geschäftsfeldes der Marke zu identifizieren und zu bewerten.

1. Einleitung

Wenn Marken im Rahmen einer M&A-Transaktion mit verkauft werden, stellt die Markenbewertung eine besondere Herausforderung dar.
Die bisher üblichen Bewertungsmodelle Discounted Cash Flow (DCF), Trading Multiples, Transaction Multiples fokussieren auf die existierenden Geschäftsfelder des Unternehmens. Bei einem Markenartikler ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, auch zusätzliche Markenpotenziale jenseits bestehender Geschäftsfelder zu identifizieren und zu bewerten, um zu einer fairen Unternehmensbewertung zu gelangen.
Für konsumorientierte Technologieunternehmen mit hohem Wachstumspotenzial (zum Beispiel im Mobilfunksektor oder bei digitalen Plattformen) werden bereits seit Langem über die klassischen Bewertungsmodelle hinausgehende Methoden zur Bewertung von Marken und Geschäftsmodellen angewendet. Solche Modelle jenseits der Bewertung anhand aktueller und vergangenheitsorientierter Fakten oder Finanzkennzahlen, zum Beispiel über erreichbare Bestandskunden oder aktive Nutzer, könnten auch auf das Potenzial von Marken in der klassischen Konsumgüterindustrie übertragen werden, weisen aber aufgrund der großen Unterschiedlichkeit der zugrundeliegenden Geschäftsmodelle und Potenziale von Marken und der damit einhergehenden geringen Vergleichbarkeit ihrerseits erhebliche Schwächen aus.

Die Berücksichtigung künftiger Kundenpotenziale ist bei der Wertermittlung von Marken(unternehmen) für den Unternehmensverkäufer jedoch essenziell, um den bestmöglichen Unternehmenswert realisieren zu können. Der vorliegende Artikel prüft, wie die künftigen Ertragspotenziale von Marken belastbar erfasst und bewertungstechnisch berücksichtigt werden können. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass bei den klassischen Bewertungsmethoden bei Marken, insbesondere wenn sie bisher nicht optimal unterstützt wurden, in der Regel eine Bewertungslücke vorhanden ist, da Multiples tendenziell auf vergangene Ergebnisse abstellen und für eine DCF-Analyse zumeist belastbare Informationen zu den tatsächlichen Potenzialen der Marke fehlen.
Im Folgenden soll zunächst beschrieben werden, welche Möglichkeiten für eine fundierte Einschätzung des Wertsteigerungspotenzials einer Marke bestehen. Wichtige Fragen sind dabei:

  • Wie kann die Markenpositionierung strukturiert beschrieben werden, um das bestehende Kerngeschäft erfolgreich fortzuführen und auszubauen?
  • Wie kann neben der Bewertung und Prognose der aktuellen Geschäftstätigkeit auch das zukünftige Wachstumspotenzial der Marke in neuen Geschäftsfeldern in die Wertermittlung der zu verkaufenden Marke einfließen?

2. Markenpositionierung als Grundlage der Wachstumsstrategie

Marken werden von Menschen gemacht: Sie sind oft verbunden mit den Persönlichkeiten von Unternehmensgründern und deren Ideen und Visionen. Dies gilt sowohl für klassische Markenartikel als auch für die neuen digitalen Mega-Brands: Es gäbe kein Kellogg’s ohne Will Keith Kellogg, kein Adidas ohne Adi Dassler. Und auch Apple und Amazon wären nicht die gleiche Marken ohne Steve Jobs’ und Jeff Bezos’ Visionen, wofür diese Marken stehen sollen und können.
Am Anfang existiert die Marke nur im Kopf und im „Bauchgefühl“ dieser Personen. Sie ist in der Regel noch nicht schriftlich fixiert, sondern lebt durch eine konsequente Befolgung von Prinzipien der Gründer.
Wenn die Marke im Laufe der Zeit wächst, wird es nötig, dass alle parallel daran Arbeitenden – in der Geschäftsführung, in der Produktentwicklung, im Marketing, in den geographischen Regionen – ein gemeinsames Verständnis davon haben, wofür die Marke steht, wie sie auftritt, und auch in welche Richtungen sie wachsen kann. Ferner braucht es auch Klarheit darüber, wo ihre Grenzen liegen: Was sollte sie nicht anbieten? Wie tritt sie keinesfalls auf?
Eine schriftlich fixierte, klare Markenpositionierung definiert die Rahmenbedingungen einer erfolgreiche Vermarktungs- und Wachstumsstrategie. Die Marke muss gepflegt werden, um ihre Kraft zur Beeinflussung von Kaufentscheidungen zu behalten und auszubauen: „A brand exists when it has acquired power to influence the market“¹

Sie sollte zwar regelmäßig den sich verändernden Konsumentenbedürfnissen und Wettbewerbsumfeldern behutsam angepasst werden, dabei dürfen aber nie ihre Wurzeln aus den Augen verloren werden.
Kasper Rosted, Vorstandsvorsitzender von Adidas, antwortet zum Beispiel auf die Frage „Was ist die Seele von Adidas?“: „Das Streben, die besten Produkte für Sportler zu machen ... Wir sind eine Sportfirma, wir sind keine Modefirma – eine ganz klare Aussage. (...) Einer der Gründe, warum Deutschland 1954 Fußballweltmeister wurde, waren unsere Schuhe – das sehen hier alle so. Eine junge Firma hat viele Vorteile, aber sie hat keine Geschichte“².
Dieses Verständnis muss im Falle einer Markenübernahme im Rahmen einer Transaktion genauso klar übergeben werden wie bei einem personellen Führungswechsel.

Unter Markenpositionierung versteht man „... die Planung, Umsetzung, Kontrolle und Weiterentwicklung einer an den Idealvorstellungen der Nachfrager ausgerichteten, vom Wettbewerb differenzierten und von der eigenen Ressourcen- und Kompetenzausstattung darstellbaren, markenidentitätskonformen Position im Wahrnehmungsraum relevanter Zielgruppen“³ Oder, um es mit den Worten von David Ogilvy auszudrücken: „What does the product do, and who is it for?“.

Eine solche Positionierung zu entwickeln, erfordert ein fundiertes Wissen in drei Bereichen:

  • Tiefes Verständnis für die emotionalen und funktionalen Bedürfnisse von Konsumenten im betrachteten Markt („Consumer Insights“). Die Kosmetikmarke DOVE führte beispielsweise im Jahr 2010 eine globale Studie durch. Die Ergebnisse zeigten, dass ein großer Teil aller Frauen schon früh beginnt, am eigenen Aussehen zu zweifeln. Es überwiegt das Gefühl, einem quasi unerreichbaren Ideal nicht zu genügen. DOVE hat sich seitdem erfolgreich als „Marke für wahre Schönheit“ positioniert und unterstützt Frauen dabei, ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Diese emotionale Positionierung ist für die Zielgruppe hoch relevant und lässt für die Produktvielfalt der Marke einen großen Spielraum.
  • Eine detaillierte Wettbewerbsanalyse des betreffenden Marktes, inklusive sich abzeichnender Trends. Im Fall von DOVE war es gängige Praxis in der Kosmetikbranche, Supermodels als Testimonials zu nutzen und dadurch um „perfekte Schönheit“ zu konkurrieren. Die neue Positionierung ist hier klar differenziert.
  • Ein umfassendes Verständnis der Markenhistorie: Ihr Ursprung, ihr Produktportfolio im Zeitablauf, relevante Kommunikations- und Verpackungsentwicklungen et cetera. DOVE war von Anfang an eine sanfte, natürlich positionierte Marke, wenn auch zu Beginn eher aus dem Produkt heraus abgeleitet: Das Ursprungsprodukt war eine Seife, die im Vergleich zu anderen Seifen die Haut nicht austrocknet. Die neue Positionierung hob diese funktionale Basis auf eine andere Ebene.

Aus diesem Input lässt sich die Positionierung ableiten. Vereinfacht bezieht sie also in drei Bereichen Stellung:

  • Relevanz für die Zielgruppe: Auf welchen „Consumer Insights“ baut die Marke ihr Versprechen auf?
  • Einzigartiges Versprechen: Was kann die Marke für den Verbraucher tun, und zwar besser als der Wettbewerb?
  • Markenwerte und Glaubwürdigkeit: Warum sollte man der Marke dies zutrauen?

DMFIN Artikel M A Review Markenpositionierung

Abb. 1 • Modelle zur Markenpositionierung: Beispiel Unilever Brand Key
Quelle: Unilever

Es gibt zahlreiche Modelle zur Ausformulierung von Positionierungen. Eine typische ist der von Unilever entwickelte sogenannte „Brand Key“ benannt nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip: Mit diesem Schlüssel soll der Zugang zu den Konsumenten und ihren Kaufentscheidungen eröffnet werden, da er passgenau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist:
Darüber hinaus werden oft visuelle, gestalterische Elemente definiert, die langfristig für eine klare Wiedererkennung der Marke sorgen sollen.
Alleine das Vorhandensein einer klar herausgearbeiteten Markenposition schafft für einen Markenkäufer Vertrauen in die Marke und macht diese für einen größeren Kreis an potenziellen Erwerbern interessant. Nur wenn das Unternehmen oder ein externer Markenberater frühzeitig und eng abgestimmt mit dem für die Veräußerung beauftragten M&A-Berater zusammenarbeitet, kann der tatsächliche Wert einer Marke realisiert werden. Der M&A-Berater muss durch die ihm kommunizierte, klar definierte Markenpositionierung dazu in die Lage versetzt werden, den Markenkern und die Markenpotenziale im Rahmen des von ihm initiierten Bieterverfahrens wertsteigernd darstellen zu können. Dazu muss das Transaktions-Know-how des M&A-Beraters mit der Markenexpertise des Unternehmens und seiner Markenberater verknüpft werden.

3. Strategische Wachstumsoptionen: Renovation vs. Innovation

Wenn Klarheit über die Positionierung besteht, können daraus strategische Wachstumsoptionen abgeleitet werden.
Hierbei sollte eine ausbalancierte Mischung aus kontinuierlicher Weiterentwicklung des bestehenden Portfolios (Renovationsprojektes) und echten Innovationen angestrebt werden:

„When faced with a choice to renovate or innovate, pick both. Innovation can help attract new buyers and new usage occasions. ... But don’t neglect the other side of the coin. Renovations come in many shapes and sizes. .... Generally, the objective is to refresh your core, evolve your brand and keep it contemporary. Renovating your brand periodically helps you protect your core and build sustainable platforms for future innovation and growth.“.

Beispielhaft: Apple hat den iMac seit seinem Launch 1998 diverse Male einem Relaunch unterzogen. Form, technische Features und Leistungen wurden kontinuierlich verbessert. Er ist nach wie vor ein signifikanter Umsatz- und Profitträger des Unternehmens und wurde nicht im Schatten der weiteren – prominenteren – Innovationen vernachlässigt. „... even with the iPhones, iPods, and iTunes dominating today’s news, we shouldn’t forget that Apple’s 21st century success can be traced directly back to iMac’s launch...”
Die Innovationen, die Apple nach dem iMac und dem folgenden MacBook auf den Markt brachte, verließen das Stammgeschäft (Desktop/Laptop-Computer) und setzten die Marke in jeweils völlig neue Geschäftsfelder mit einem entsprechend neuen Wettbewerbsumfeld:
Der iPod konkurrierte mit dem Sony Walkman im Bereich tragbare Musik. Das iPhone konkurrierte mit Nokia, Samsung und Ericsson im Bereich Mobiltelefone.
Die Wettbewerber wurden überholt und sogar vom Markt verdrängt, da Apple unbewusste Bedürfnisse der Verbraucher und auch Schwachstellen der existierenden Konkurrenzprodukte erkannt und gleichzeitig eine bessere Lösung hierzu entwickelt hat. Der Claim „Think different“ war eine klare Gegenposition zu den in der jeweiligen Kategorie geltenden „Spielregeln“.
Der rote Faden war hierbei eine auf den Konsumenten ausgerichtete Vision: Maximale Benutzerfreundlichkeit, gepaart mit einem „nicht-technischen“ Design, das äußerst angenehm anzufassen und anzuschauen ist. Apple verzichtet weitgehend auf die Auslobung funktionaler Merkmale und schafft stattdessen eine emotionale Begehrlichkeit, die auch den deutlich höheren Preis akzeptieren lässt.
Klassische Markenartikler sind aber oft in einer Produktkategorie Experten, in der sie über detailliertes technisches Know-how und Produktionskapazitäten verfügen – zum Beispiel Nokia im Bereich Mobiltelefone. Dadurch fällt es ihnen tendenziell schwer, sich Wachstumsfelder für die Marke außerhalb dieser Kategorie vorzustellen. Außerdem bauen sie ihre Innovations- Strategie oft nicht ausreichend auf Kundenbedürfnissen auf („Was wollen die Menschen heute?“), sondern auf ihren bisherigen Stärken als Produzent („Was können wir bereits heute effizient herstellen – wie können wir das noch verbessern?“).
Ähnliches gilt für viele mittelständische Unternehmen, die sich innerhalb einer Produktkategorie erfolgreich etabliert haben und sich nur schwer von dieser Kategorie lösen können und wollen. Es überwiegt oft der Reflex „Das können wir nicht produzieren/die Investition ist zu hoch. Außerdem verstehen wir davon nichts“.
In Zeiten von hoher Produktionsflexibilität, zum Beispiel durch Co-Manufacturing oder Lizenzierung, muss dies aber kein Hinderungsgrund bleiben.
Bei bevorstehenden Transaktionen, die Marken beinhalten, ist es daher ratsam, eine neutrale dritte Person hinzuzuziehen, die weder Teil der Organisation des zu bewertenden Unternehmens, noch Teil des M&A-Teams ist. Hierdurch kann das wahre Potenzial einer Marke, das die bisherigen Eigentümer oftmals aufgrund einer anderen strategischen Ausrichtung selbst nicht umfassend entwickelt haben, glaubwürdig(er) und damit für die Transaktion werterhöhend vermittelt werden.
Durch diese systematische Markenpotenzialanalyse können neben den bereits in der Entwicklungspipeline befindlichen Renovationsprojekten (innerhalb des Stammgeschäfts) auch echte Innovationen durch Markentransfers in neue Geschäftsfelder identifiziert werden, die neue, zusätzliche Ertragspotenziale erschließen und somit einen Ergebnisbeitrag leisten können. Durch diese Vorgehensweise wird der Transaktionswert nachdrücklich erhöht. Auch hier ist wiederum eine sehr enge Verzahnung zwischen dem M&A-Berater und dem „Markenbetreuer“ (Unternehmen oder dessen Markenberater) erforderlich. Nur so kann das Wachstumspotenzial der Marke optimal und glaubwürdig so innerhalb des Verkaufsprozesses platziert werden, dass es sich auch im Kaufpreis vollumfänglich niederschlägt. Weitere wichtige Schritte hierzu sollen nachfolgend erläutert werden.

4. Entwicklung, Evaluierung und Quantifizierung neuer Geschäftsfelder

4.1. Aufzeigen von potenziellen neuen Geschäftsfeldern durch Markentransfer jenseits des Stammgeschäfts

Man stelle sich beispielsweise vor, die Marke LEGO stünde zum Verkauf. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst folgendermaßen: „Die LEGO Gruppe ist einer der weltweit größten Hersteller und Einzelhändler von Spielmaterial.“
Zum Thema Positionierung ist Folgendes zu finden: „Getreu dem Leitsatz ,Only the best is good enough‘ setzt sich das Unternehmen für die Entwicklung von Kindern ein und fördert und inspiriert die ‚Baumeister von morgen’ durch kreatives Spielen und gleichzeitiges Lernen.“¹0;
Eltern und Kinder haben oft gleichermaßen eine hohe emotionale Bindung an die Marke und verbinden diese zusätzlich mit hoher Belastbarkeit. Die Verwendung garantiert schadstofffreier Kunststoffe ist ebenfalls ein für Eltern hoch relevanter funktionaler Faktor und ein Unterscheidungsmerkmal zur deutlich günstigeren Konkurrenz zum Beispiel aus Fernost. Ein „Brand Key“ für LEGO liegt vermutlich vor oder wäre mit wenig Aufwand definier- und überprüfbar.
Ein neutraler Dritter kann damit Konzepte entwickeln, in welchen anderen Geschäftsfeldern die Marke für Eltern und Kinder relevant sein könnte.
Ein denkbares neues Geschäftsfeld sind zum Beispiel robuste, modulare Kindermöbel, die aus überdimensionalen LEGO-Steinen und anderen Bauteilen sicher und stabil nach LEGO-„Bauanleitungen“ zusammengesetzt und bei Bedarf immer wieder neu arrangiert und aufgestockt werden können – quasi mitwachsende Möbel für „die Baumeister von morgen“. Denkbar ist auch eine zielgruppengerechte Ansprache von verschiedenen Altersgruppen analog zum LEGO-Stammgeschäft (Kleinkinder/Schulkinder) sowie die Besetzung von typischen LEGO-Themen-Welten (Tierwelten/Star Wars) für diese Möbel.
Dieses Beispiel soll veranschaulichen, dass sogar ohne detaillierte Marktkenntnis Konzepte entwickelt werden können, sobald die gesetzte Rahmenbedingung „Wir sind nur in einer Kategorie aktiv“ einmal durchbrochen wird. Die Grundhaltung ist dabei: Was braucht unsere Zielgruppe AUSSER den bisherigen Produkten, und was würden diese Verbraucher unserer Marke zusätzlich zutrauen? Wie müssten diese neuen Angebote beschaffen sein, damit sie sich positiv von der Konkurrenz differenzieren und glaubwürdig zur Marke passen?
Allein das Aufzeigen weiterer bisher nicht betrachteter Einsatzmöglichkeiten einer Marke ist für diese werterhöhend, sofern es eine logische und konsistente Verbindung des neuen Geschäftsfelds zur Marke gibt. Zumindest jene Interessenten an der Marke, die diese Ideen aufgreifen wollen, werden die Marke im Rahmen eines M&A-Prozesses entsprechend höher bewerten.
In einem realen Fall würde man selbstverständlich in die detaillierte Analyse und Entwicklung der Idee einsteigen sowie die Machbarkeit und potenzielle Risiken bewerten. Auch dies sei im Folgenden am Beispiel LEGO grob skizziert.

4.2. Überprüfung der Konsumentennachfrage nach Angeboten in neuen Kategorien

Im ersten Schritt werden Hypothesen zur aktuellen Wahrnehmung der Marke LEGO aufgestellt und überprüft. Zur Validierung existieren quantitative Online-methoden, die in kurzer Zeit Daten über die Zustimmung der Verbraucher zu diesen Merkmalen liefern können. Hinzu kommen klassische Bekanntheitswerte (ungestützte und gestützte Bekanntheit innerhalb der Kategorie), die ebenfalls über Marktforschungsinstitute verfügbar sind.

Zusätzlich werden per Desk-Research die Verbraucherbedürfnisse, die Positionierungen aktueller Key Player und Trends auf dem Möbelmarkt analysiert. Hierbei können vermutlich vorhandene Schwachstellen von bestehenden Anbietern aufgedeckt werden, die in das neue LEGO-Konzept zur positiven Differenzierung einfließen sollten.
Anschließend wird ein schriftliches Kurzkonzept sowie eine visuelle Darstellung zur neuen Geschäftsfeldidee entwickelt. Dieses Konzept wird dann in einer Onlinebefragung mit der potenziellen Zielgruppe (Käufer von Kindermöbeln) validiert. Klassische Fragestellungen sind hierbei Uniqueness, Relevanz, Markenpassung und letztendlich Kaufinteresse.

4.3 Quantifizierung des zusätzlichen Umsatzpotenzials

Schritt 1:
Desk-Research zu Größe und Entwicklung des Möbelmarktes: Umsätze, Preise, geschätzte Herstellungskosten, Deckungsbeiträge, Werbebudgets, Positionierung der Wettbewerber et cetera. Für die meisten Geschäftsfelder sind Daten verfügbar zum Beispiel via Euromonitor, Statista und Fachpresse.

Schritt 2:
Erstellung von Umsatz- bzw. Marktanteilsprognosen für Jahr 1–5 (verschiedene Szenarien und Bandbreiten) aufgrund der Ergebnisse des Konzepttests, der Markenbekanntheit sowie eines Launchplans (Distributionsaufbau, Werbeunterstützung etc.). Marktforschungsunternehmen wie Nielsen bieten Testverfahren an, die alle diese Faktoren berücksichtigen. Da sie über eine Vielzahl von Erfahrungswerten in einer großen Anzahl von Kategorien verfügen, können sie konkrete Kategorie-Benchmarks anlegen. Dies macht die Prognosen noch ein Stück valider.

4.4 Business Cases: Evaluierung von Optionen zur Umsetzung

Prinzipiell können drei Optionen für die Entwicklung und Fertigung in Betracht gezogen werden:

  • Inhouse-Entwicklung und/oder -Fertigung
  • Entwicklung und/oder Fertigung durch einen Lohnhersteller
  • Lizenzierung an einen Business-Partner

Für den wirtschaftlichsten Weg wird dann eine Einschätzung der Machbarkeit sowie eine Umsatz-, Kosten-und Cashflow-Planung erstellt.
Darüber hinaus werden Distributionsszenarien entwickelt und Kosten-Nutzen-Vorteile und -Nachteile bewertet.

Es wird praktisch ein möglicher zusätzlicher Ergebnisbeitrag beziehungsweise ein möglicher Cashflow- Beitrag der Marke ermittelt. Dieser kann durch den Verkäufer und seinen M&A-Berater sozusagen als „Ass im Ärmel“ verwendet werden, um statt eines guten Investment Cases einen Top Investment Case vermitteln und somit einen Bieterwettbewerb um die Marke „befeuern“ zu können. Der subjektiv empfundene Wert für die Investoren steigt durch die entstehende Wettbewerbssituation und durch die Reduktion des wahrgenommenen Investmentrisikos deutlich an.¹1; Bei Betrachtung von konservativen versus optimistischen Szenarien verschiebt sich durch das Aufzeigen des Zusatzpotenzials die Risikoeinschätzung:
Aus dem zunächst möglicherweise als optimistisch eingesetzten Szenario wird im Zuge der Due Diligence durch diese Zusatzinformationen zu den weiteren Potenzialen der Marke optimaler Weise ein eher konservatives Szenario, welches der Erwerber als Grundlage für seine Wertfindung verwendet.

Dauer des gesamten Prozesses (4.1. – 4.4.):
Insgesamt circa sechs Wochen, wenn die Markenpositionierung vorab relativ klar definiert ist. Andernfalls müsste man circa vier Wochen vorschalten zur Klärung und Entwicklung der zukünftigen Positionierung. Der Prozess kann weitgehend parallel zu den ohnehin anfallenden Vorbereitungsmaßnahmen für eine M&A-Transaktion (Unterlagenerstellung, Vorbereitung der Ansprache und des Datenraums) ablaufen. Die Ergebnisse dieser Markenpotenzialanalyse können mit wenig Aufwand (vor allem Anpassung des Informationsmemorandums und der Managementpräsentationen sowie Ergänzung des Datenraums) in den Verkaufsprozess einbezogen werden.

5. Ausgewählte Transaktions- und Kooperationsszenarien mit Markenbezug

5.1 Carve out einer Marke

Viele Marken, die gerade in Konzernen mittelfristig zum Verkauf stehen, sind bereits seit längerer Zeit aufgrund anderer strategischer Prioritäten „undermanaged“, das heißt nicht adäquat mit den nötigen Ressourcen versorgt (zum Beispiel mit Kapazitäten bei Produktentwicklung, Marketing-Management und Werbebudgets). Dadurch wird mit den klassischen finanzwirtschaftlichen Bewertungsverfahren ein Wert ermittelt, der hier die „schlummernden“ Potenziale der Marke nicht ausreichend reflektiert.
In diesen Fällen sind gegebenenfalls sogar noch nicht einmal mehr grundlegende Renovationsprojekte in bestehenden Marktsegmenten entwickelt und gelauncht worden, geschweige denn Innovationen jenseits aktueller Geschäftsfelder. Das an der Marke arbeitende Marketingteam musste sich eher auf Erhaltungsaktivitäten konzentrieren. In diesem Fall wird die Entwicklung einer belastbaren Wachstumsstrategie, mit Renovations- und und Innovationsprojekten durch einen Markenberater, das darstellbare Markenpotenzial und damit den Markenwert signifikant steigern. Ohne eine solche belastbare Markenpotenzialanalyse liegen für eine DCF-Bewertung keine verwertbaren Cashflow- Daten vor oder die Cashflows und damit der Unternehmenswert werden zu niedrig angesetzt.
Oftmals wird dem Verkäufer einer (unterentwickelten) Marke erst durch die intensive Befassung mit ihren tatsächlichen Potenzialen klar, welcher Wert in ihr steckt. Da die Verkaufsentscheidung für eine Marke der strategischen Gesamtplanung für das Unternehmen nachgelagert ist, wird die in diesem Artikel aufgezeigte Markenpotenzialanalyse die grundsätzliche strategische Verkaufsentscheidung nur in den seltensten Fällen umkehren. Jedoch kann das Ergebnis der Analyse sein, die Marke im ersten Schritt unter Beibehaltung einer Minderheitsbeteiligung an einen Finanzinvestor zu veräußern, um so an der zusätzlichen Wertsteigerung mittelfristig weiter zu partizipieren. Sind die Wertsteigerungspotenziale zusammen mit dem Private-Equity-Investor tatsächlich realisiert, lässt sich im zweiten Schritt aufgrund des weggefallenen Umsetzungsrisikos und einer optimierten Kapitalstruktur ein nochmals signifikant höherer Verkaufserlös erzielen.

5.2. Unternehmensverkauf inklusive einer Marke

Bei der Veräußerung eines mittelständischen Unternehmens mit starkem Markenbezug ist der Input, den der verkäuferseitig tätige M&A-Berater vom Verkäufer für die „Marktwertpositionierung“ des Unternehmens beziehungsweise der Marke(n) erhält, häufig sehr begrenzt. Vielfältige, oft emotionale Gründe führen zu einem weitgehenden „Kommunikationsverbot“, zum Beispiel mit den Mitarbeitern des Marketings, die eigentlich Auskunft über die Positionierung und Wachstumskonzepte einer Marke geben könnten. Jedoch reflektiert der vom Käufer errechnete Unternehmenswert seine Einschätzung des Risikos, das mit der Transaktion für ihn einhergeht. Dieser Unternehmenswert wird durch zusätzliche Sicherheitspuffer vom Käufer weiter reduziert. Die obigen Ausführungen haben aufgezeigt, wie der Markeninhaber gemeinsam mit seinem Markenberater und dem M&A-Berater das gefühlte Risiko des Käufers mit vertretbarem Aufwand erheblich absenken können und so den Verkaufspreis, aber auch die Abschlusswahrscheinlichkeit deutlich erhöhen können.

Dabei gilt: Gut eingeführte Marken mit Entwicklungspotenzial sind für ein Unternehmen so wertvoll wie das Management, das mit „verkauft“ wird. Der Mehrwert eines guten Managements ist allerdings kaum quantifizierbar. Im Vergleich dazu ist der Mehrwert einer Marke deutlich eher zu berechnen. Sich damit als Verkäufer nicht ausreichend zu befassen bedeutet, auf Teile des möglichen Kaufpreises zu verzichten.

5.3 Unterstützung von Markeninhabern bei der Realisierung des Markenpotenzials mittels Kooperationen

Abschließend möchten wir auf ausgewählte Spezialfälle im Hinblick auf die Bewertung von Marken eingehen, für welche die vorgestellte Markenpotenzialanalyse ebenfalls zum Einsatz kommen kann:

  • Joint Ventures zur Markenentwicklung
  • Lizenzierungsmodelle

Die Unterstützung von Markeninhabern bei der Weiterentwicklung ihrer Marken, jenseits des Stammgeschäfts, könnte und sollte ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung der Corporate VC-Strategie eines Markenkonzerns sein.
Neben Investitionen in neue Technologien innerhalb des bestehenden Geschäftsfelds sollten auch Markenpotenziale außerhalb des Kerngeschäfts evaluiert werden, um so das Spektrum etwaiger Investitionsziele genauer zu spezifizieren. Dafür bedarf es hoher Freiheitsgrade bei der Entwicklung von Ideen und der Nutzung finanzieller Ressourcen, die für Transaktionen zur Verfügung stehen. Diese Offenheit und Flexibilität ist ein Grundproblem gerade im deutschsprachigen Raum, in dem eher konservativ investiert wird.
Im Zuge einer Markenpotenzialanalyse kann sich ergeben, dass eine Marke über Potenziale außerhalb des Stammgeschäfts verfügt, die der bisherige Markeninhaber alleine nicht realisieren kann (andere Produktionstechnologien, andere Vertriebswege oder andere Einsatzfelder). Um die so identifizierten zusätzlichen Werte der Marke zu realisieren, bietet sich der Abschluss von Joint Ventures mit geeigneten Partnern oder die Auslizenzierung der Marke oder des dahinterstehenden Know-hows an. Die Ergebnisse der vorgenommenen Markenpotenzialanalyse helfen dabei, einen geeigneten Partner zu finden und wirtschaftlich angemessene Vereinbarungen für den Markeninhaber zu realisieren.

Um im LEGO-Beispiel zu bleiben:
LEGO könnte mit einem Möbelhersteller kooperieren, der bereits über Produktionskapazitäten, Logistik und Distributionsnetze verfügt, und so die Kontrolle über die Ausweitung der Marke behalten – ohne das neue Geschäftsfeld selbst aufbauen zu müssen.

6. Fazit und Ausblick

Unsere Ausführungen zur Bewertung von Marken im Rahmen von M&A-Prozessen haben Folgendes aufgezeigt:

  1. Klassische Bewertungsmethoden sind in der Regel nicht geeignet, um den tatsächlichen Wert von Marken ausreichend abzubilden. Dies gilt insbesondere für Marken, die bisher nicht optimal mit Ressourcen unterstützt und entwickelt wurden.
  2. Mit der konsequenten Übertragung der Instrumente der Markenpositionierung und der Markenpotenzialanalyse auf M&A-Prozesse können künftige Cashflows von Marken mit einem zeitlich vertretbaren Aufwand sehr viel belastbarer und glaubwürdiger ermittelt und kommuniziert werden. Entsprechend sinkt die Unsicherheit des Käufers und damit erhöht sich der von ihm „aufrufbare“ Kaufpreis. Neben einer deutlichen Verbesserung der Verhandlungsposition des Verkäufers erhöht sich auch die Transaktionssicherheit.
  3. Durch die so erreichte belastbarere Zahlenbasis können erhebliche Schwächen des DCF-Verfahrens im Rahmen markenbasierter Transaktionen beseitigt werden. Transaction und Trading Multiples sind hingegen aus Sicht der Autoren im Hinblick auf Markenbewertungen aufgrund ihrer Vergangenheits- beziehungsweise Gegenwartsorientierung eher ungeeignet, um zu einem fairen Wert für den Markenverkäufer zu kommen. Hier könnten zwar theoretisch auch Bewertungen anhand der möglichen zukünftigen Wertschöpfung pro (loyalem) Markennutzer eine Abhilfe schaffen. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Wertschöpfungspotenziale pro Kunde bei unterschiedlichen Marken erscheint die Anwendung der DCF-Methode, gestützt auf eine fundierte Markenpotenzialanalyse (durch einen unabhängigen Dritten) wie aufgezeigt, als die zu bevorzugende Vorgehensweise.

 

1) The new strategic brand management, Jean-Nöel Kapferer, 2012
2) Interview im Stern, 17.12.2017
3) Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/markenpositionierung-37775/version-261206
4) David Ogilvy, Ogilvy on Advertising, 1972
5) „Die ganze Wahrheit über Schönheit“, Studie von Dove, Mai 2010. Weltweite Umfrage unter 6.407 Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren zum Thema Schönheit und Selbstbewusstsein in 20 Ländern. Quelle: www.dove.de
6) www.unilever.com/Images/2004-goldman-sachs-conference-presentation-niall-fitzgeraldchairman-unilever-plc_tcm244-422069_en.pdf
7) Quelle: www.nielsen.com/in/en/insights/reports/2014/innovation-or-renovation--what-really-fuels-growth-.html
8) Quelle: www.macworld.com/article/1135017/macs/imacanniversary.html
9) www.lego.com/de
10) www.lego.com/de
11) Zum Einfluss der Risikoaversion auf den Kaufpreis vgl. M. Leitterstorf / M. Wachter: „Takeover Premiums and Family Blockholders“ in: Family Business Review 2016, Vol. 29(2), S. 214.
 


 
Über die Autoren:

DMFIN Artikel M A Review Martina Cleven   Martina Cleven ist selbstständige Expertin für Marketingstrategien und berät seit knapp 20 Jahren internationale Konsumgüterunternehmen bei der Entwicklung von Wachstumsstrategien für ihre Marken. Typische Themen: Markenpositionierung, Portfoliostrategie, Innovationsentwicklung, Markenarchitektur. Vor ihrer Selbstständigkeit war sie Geschäftsführerin der Strategieberatung Added Value. Sie sammelte zu Beginn ihrer Karriere zehn Jahre Erfahrung im Brand Management, bei Blue-Chip- Konzernen und im Mittelstand. m.cleven@martina-cleven.de
     
DMFIN Artikel M A Review Dr Partick Schmidl   Dr. Patrick Schmidl ist geschäftsführender Gesellschafter der Deutsche Mittelstandsfinanz GmbH, einem M&A-Beratungshaus aus Frankfurt. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Corporate-Finance-Erfahrung als M&A-Berater, Private-Equity-Manager und in der Industrie. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehört die Beratung von Unternehmern im Rahmen von M&A-Transaktionen, bei denen häufig immaterielle Vermögensgegenstände wie Produktions-Know-how oder Markenrechte eine wichtige Rolle spielen. patrick.schmidl@dmfin.com